- Juli 2024
In einem bedeutsamen Rückschlag für die Professionalisierung der Pflege in Baden-Württemberg hat Sozialminister Manfred Lucha am 10.06.24 bekanntgegeben, dass das erforderliche Quorum für die Errichtung einer Landespflegekammer nicht erreicht wurde. Im Rahmen der vorgelagerten Gründungsphase der Landespflegekammer wurden insgesamt 120.619 Pflegefachpersonen auf der Basis von Arbeitgebermeldungen vom eigens dafür eingerichteten Gründungsausschuss angeschrieben. Trotz 64.380 einwendungsfreier Registrierungen wurde das Ziel um 3.377 Registrierungen verfehlt. Bis zum Ende der dafür vorgesehenen Frist hatten mehr als 53.000 Pflegefachkräfte Einwendungen gegen ihre Registrierung und damit auch gegen die Errichtung der Kammer erhoben. Diese Entwicklung wird von vielen – auch der DFPP – als eine verpasste Chance für die Pflege gesehen. Die DFPP ist erschrocken und hat zu den aktuellen Entwicklungen und Entscheidungen u.a. über den Pflegerat NRW in einem offenen Brief an den Minister klar Stellung bezogen.
Kritik und Enttäuschung
Die Errichtung der Pflegekammer in Baden-Württemberg wäre ein wesentlicher Schritt zur Selbstbestimmung und Stärkung des Pflegeberufs gewesen. Dies hätte nicht nur die beruflichen Belange der Pflegenden auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene gestärkt. Es bleibt abzuwarten, welche alternativen Wege das Ministerium findet, um die Pflege im Land zu stärken, insbesondere durch eine erhöhte politische Beteiligung und die Festigung bestehender Strukturen wie dem Landespflegerat.
Die Festlegung des Quorums auf 60 Prozent hat von Beginn an für zahlreiche Diskussionen im Land gesorgt. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass bereits im Jahr 2018 eine Umfrage durchgeführt wurde, bei der 68 Prozent der Befragten für die Errichtung gestimmt hatten. Zum anderen ist die Frage zu stellen, warum am Ende nicht eine einfache Mehrheit, also mehr als 50 Prozent der Stimmen für eine Willensbekundung ausreichen.
Die Auslegung des Dokumentationsberichtes stellt einen wesentlichen Streitpunkt dar. Der Gründungsausschuss hatte dem Ministerium seinen Abschlussbericht vorgelegt, in dem er das Erreichen des Quorums erläuterte. Das Ministerium hingegen interpretierte 3.100 Rückläufer anders als der Gründungsausschuss, was zu einer Differenz in der Zählweise führte und das Quorum letztlich verfehlte. Diese Auslegung wird unter anderem vom Landespflegerat als nicht nachvollziehbar und rechtlich fragwürdig bezeichnet.
Forderungen an die Politik
In Anbetracht der aktuellen Situation ist die gesamte politische Landschaft in Baden-Württemberg nun gefordert, konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Pflege einzuleiten. Die alleinige Einbindung des Landespflegerates stellt jedoch keinen adäquaten Ersatz für die Einrichtung einer Pflegekammer dar. Es ist unerlässlich, die Mehrheit der Pflegenden politisch zu beteiligen und ihnen politische Mit- und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Die Pflegenden selbst sind die einzigen, die die notwendigen Entwicklungen wie beispielsweise Weiterbildungsverordnungen, Fragen der generalistischen Ausbildung oder die Schaffung und Etablierung moderner Rollenprofile wie Community Health Nursing adäquat begleiten und bewältigen können.
Die dargestellten Entwicklungen verdeutlichen, dass es noch ein weiter Weg ist, bis die Pflegeberufe in Baden-Württemberg die notwendige Anerkennung und Unterstützung erhalten, um den steigenden Herausforderungen im Gesundheitswesen gerecht zu werden. Die Politik ist folglich mehr denn je gefordert, entschiedene und nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen, um die Pflege in Deutschland zu stärken und zu professionalisieren.